Suche Freiheit, biete Selbstzensur! – Han Han fordert Kunst- und Meinungsfreiheit und stellt sich Plagiatsvorwürfen

Suche Freiheit, biete Selbstzensur! – Han Han fordert Kunst- und Meinungsfreiheit und stellt sich Plagiatsvorwürfen

Chinas liberaler Starblogger fordert mehr Freiheit und ist bereit, sich dafür selbst einen Maulkorb zu verpassen. Er behauptet, chinesische Politik sei nicht gefährlich. Demontiert sich Chinas Universalgenie Han Han mit seiner jüngsten Essay-Trilogie selbst? Übersetzung von Maximilan Kalkhof.

Han Han ist das Idol der chinesischen Post-80er Generation. Schulabbrecher, Rallye-Fahrer und meinungsstarker Blogger – keiner verkörpert die Ideale junger Liberaler in China so sehr wie er. 2011 hat Han Han eine Essay-Trilogie zu Grundsatzdiskursen in China veröffentlicht: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie. Als revolutionär kommt er in den Essays allerdings nicht daher, sondern eher als Realist. Seit Weihnachten wird in der chinesischen Blogosphäre daher heftig gestritten, ob Han Han „harmonisiert“ wurde, ob er für seine Romane und Blogeinträge guttenbergte oder ob er gar einen Ghostwriter anheuerte. Zu den prominentesten Kritikern gehört der chinaweit bekannte Plagiatjäger Fang Zhouzi, der in Han Han ein falsches Jugendidol sieht. Ihn verklagte Han Han wegen Rufschädigung, das Urteil steht noch aus. Ai Weiwei’s Kommentar: Han Han hat freiwillig kapituliert. Im ersten Teil seiner Essay-Trilogie Ende 2011 schrieb Hanhan über Revolution und Freiheit, im Zweiten über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Im dritten Teil seiner Essay-Reihe bricht der Profi-Rallyefahrer gänzlich mit seiner einstigen Rolle des Enfant terrible und zeigt sich von seiner staatstragenden Seite. Hier die deutsche Ãœbersetzung des dritten Teils:


Freiheit wollen

Im vorvorletzten Artikel sagte ich, dass die Freiheit, die jeder Mensch will, nicht die gleiche ist. Im letzten Artikel sagte ich, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein Prozess sind, der ausgehandelt werden muss. Auch wenn es zu Weihnachten Sonderangebote noch und nöcher gibt, wird doch nichts geschenkt. Ich fange schon mal an zu feilschen.
Zunächst fordere ich als Kulturmensch im neuen Jahr mehr Schaffensfreiheit. Ich rede nicht von A-Freiheit oder B-Freiheit, da diese zwei Worte euch unterbewusst Angst machen und euch vorsichtig werden lassen. Obwohl diese Freiheiten in der Verfassung stehen, werden sie nicht gut ausgeübt. An dieser Stelle lege ich auch ein Wort für meine Berufskollegen ein: Die Medienleute benötigen mehr Nachrichtenfreiheit. Die Nachrichten werden sehr strikt kontrolliert. Die Leiden meiner Filmfreunde wirst du erst recht nicht erahnen können. Sie müssen, während sie Kultur schaffen, ständig nach Minen Ausschau halten. Wenn man auf eine tritt, fliegt man in die Luft. Die, die auf keine Minen treten, laufen sowohl langsam als auch schräg. Diese Freiheiten sind ein Trend der Zeit (…).


Glasnost und Perestroika waren gestern, die Gegenwart heißt Weibo

Ich weiß, dass ihr euch bestimmt schon mal mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) beschäftigt habt. Ihr glaubt, dass das Scheitern der KPdSU seinen Grund darin hat, dass Gorbatschow die Presse liberalisierte, der Partei die Macht entzog und sie, wie es die Verfassung vorschrieb, dem Volksdeputiertenkongress zurückgab. Das veranlasst euch, Meinungsfreiheit und Konstitutionalismus mit großer Vorsicht zu behandeln. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die modernen Informationsmedien lassen Filter endlich wirkungslos werden.


„Ich finde, dass ich noch besser schreiben kann“

Die Restriktionen im Kulturbereich machen es China schwer, Bücher oder Filme hervorzubringen, die die Welt beeinflussen. Für uns Kulturleute ist das eine Schande. Gleichzeitig hat China keine einflussreichen Medien von Weltrang – es gibt viele Dinge, die eben nicht einfach mit Geld zu kaufen sind. Kultureller Reichtum ist eigentlich sehr günstig, denn je weniger man kontrolliert, desto reicher wird man. Wenn ihr darauf beharrt, dass die chinesische Kultur keinen Restriktionen unterworfen sei, dann ist das schlicht unehrlich. Deswegen bitte ich die Behörden inständig im neuen Jahr die Fesseln für Kultur, Verlage, Nachrichten und Film zu lockern.
Wenn das kulturelle Umfeld freier werden sollte, dann verspreche ich nicht länger zu kritisieren, sondern nach vorne zu schauen und nicht mehr über sensible Vorfälle der Regierungsgeschichte zu sprechen. Ich werde weder über die familiären Vorteile großer Konzerne sprechen noch werde ich sie beurteilen, sondern stattdessen nur Kritik an der Gegenwartsgesellschaft üben. Es wäre besser, wenn sowohl die Kulturwelt als auch die Behörden etwas nachgeben und die rote Linie einer Vereinbarung einhalten könnten, um dadurch größeren Spielraum für beide Seiten zu gewinnen.
Sollte sich aber nach zwei bis drei Jahren noch nichts an der Situation verändert haben, dann werde ich persönlich zu den Jahresversammlungen des Vereins der chinesischen Schriftsteller und der Chinesischen Vereinigung für Literatur- und Kunstschaffende erscheinen, lauschen und demonstrieren. Ameisen erschüttern einen Baum, das ist nicht der Rede wert, unsere Kraft ist gering, aber nur so geht es. Natürlich bin ich alleine, ohne Gefährten, und stifte nicht den Leser zu etwas an. Ich werde nicht die Zukunft anderer Leute benutzen, um meinen eigenen Lebenslauf zu verschönern. Ich glaube an die Qualitäten meiner Generation und deswegen glaube ich daran, dass das alles früher oder später kommt. Ich hoffe nur, dass es etwas früher kommt. Ich finde nämlich, dass ich noch besser schreiben kann. Ich möchte nicht warten, bis ich alt bin. Bitte lasst mich endlich aufholen.


„Politik ist nicht schmutzig, langweilig und gefährlich“

Das Obige ist meine persönliche Forderung, die auf meiner Profession fußt. Ich finde, dass wir in dieser für alle ertragreichen Diskussion mehr darüber nachdenken sollten, was wir tun können, anstatt zu untersuchen, wie es sein sollte. Man sagt, dass ein Mensch nur um die Erfüllung eines Wunsches bitten kann. Ich habe meinen Wunsch geäußert. Die anderen, z.B. Gerechtigkeit, Rechtsprechung, politische Reformen usw. können von anderen Leuten angesprochen werden. Obwohl ich glaube, dass Freiheit nicht der erste Wunsch vieler Menschen ist, gibt es doch niemanden, der Angst haben möchte. Ich wünsche mir, dass alle Geldlosen in einem gerechten Umfeld zu Geld kommen, und dass die Reichen nicht länger nur des Geldes wegen nach Geld streben und sich dabei Ausländern gegenüber immer noch minderwertig fühlen. Ich wünsche mir, dass alle Jugendlichen wie in dieser Weihnacht sorglos über Revolution, Reform und Demokratie diskutieren können, dass sie sich um die Zukunft des Landes sorgen und es als eigenen Bruder betrachten. Politik ist nicht schmutzig, Politik ist nicht langweilig, Politik ist nicht gefährlich. Gefährliche, langweilige, schmutzige Politik ist keine richtige Politik. Traditionelle chinesische Medizin, Schießpulver, Seide und Pandabären bescheren uns keinen Ruhm. Wenn sich die Frau eines Kreisvorstehers 100 Luis-Vuitton-Taschen kauft, beschert das der Nation auch keinen Respekt. Ich wünsche mir, dass die Regierungspartei mutig nach vorne schreitet, und dass sie ihren Namen in einer nicht nur von ihr verfassten Geschichte hinterlässt.

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Zum Weiterlesen:

• Erster Teil von Han Han’s Essay-Trilogie
• Zweiter Teil von Han Han’s Essay-Trilogie

• TAZ-Artikel über die Plagiatsvorwürfe gegen Han Han
• Englischer Artikel über Han Han’s Freiheits-Essay
• Englischer Artikel über Han Han’s Begründung, warum China nicht reif für Demokratie sei
• Englischer Artikel über die Plagiatsvorwürfe des Bloggers Fang Zhouzi

 

 

Bildquelle: 争鸣 No.413, S37

 

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